Vier mal musste die Albertina die Retrospektive von Michela Ghisetti verschieben, nun ist es so weit:
Die im italienischen Bergamo geborene und seit 1992 in Wien lebende Künstlerin präsentiert ihre Arbeiten in der Pfeilerhalle. Schon auf den ersten Blick wird klar, dass sich Verschiebungen auch durch das Werk der 55-Jährigen ziehen. Die gezeigten Werkserien lassen kaum Zuschreibungen zu, der Stil – so man einen solchen festmachen will – speist sich aus der Vielfältigkeit.
Die 54 Arbeiten aus fast zwei Jahrzehnten reichen vom Fotorealismus bis zur Abstraktion, vom Buntstift bis zum Blattgold und vom Japanpapier bis zur Holzplatte. Hinter der Vielfältigkeit steht laut Kuratorin Antonia Hoerschelmann „die politische These, dass wir in einer diversen Welt leben, in der es für jeden Platz gibt“, wie sie am Donnerstag bei der Presseführung erläuterte. „Wenn ein Thema vorbei ist, kann ich es nicht wiederholen“, erklärte Ghisetti. Vor vielen Jahren habe sie sich daher die Identitätsfrage gestellt, sei aber dann zum Schluss gekommen: „Ich bin das alles.“
Die frühesten Werke der Ausstellung stammen aus dem Jahr 2005 mit der Serie „Verrutschte Frisuren“, in der sie – auf Japanpapier – humorvoll mit der Verwendung von Schamhaarperücken spielt und so auf die Vielfalt weiblicher Sexualität verweist. In der Werkgruppe „Hommage“ setzt sie unterdessen auf hyperrealistische Porträts aus Buntstiften und zitiert etwa Vermeers „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“. Vom feinen zum breiten Farbstrich wechselt die Künstlerin in „Magic Carpet Right Love“, in der Ghisetti von der Mitte ausgehend mit beiden Händen nach außen hin malt.
Einen Ausflug ins Genre der Skulptur unternimmt die Künstlerin in „Unus Mundus“, in der sich zwei überdimensionale Perlenketten ineinander verschlingen. „Angesichts der Umstände einer Welt im Zeichen von Covid-19 kann das Werk auch unter dem Aspekt des Miteinanders von Menschen und ihrer Solidarität verstanden werden“, heißt es im Begleittext. Skulptural geht Ghisetti es auch in „Che Bambola“ an: Mit zehn Puppen rückt sie hier – inspiriert von ihrer Zeit in Ghana und Marokko – die „Diversität der Formen“ und die „Würdigung weiblicher Vielfalt“ ins Zentrum.
Raumgreifend präsentiert sich das Triptychon „Afua – Afua/Der Weg – Maximum“, in der die Künstlerin „genderspezifische Aspekte der Präsentation und Repräsentation der Frau in der heutigen Gesellschaft“ sowie Diversität und Integration verhandelt. Dabei spannt sie einen Bogen von „größtmöglichem Fotorealismus“ mit zwei Close-ups einer dunkelhäutigen Frau und einem komplett mit Blattgold bedeckten Gemälde. Für die Künstlerin ist letzteres „die Versinnbildlichung von maximalem Licht und maximaler Abstraktion“.
Die Albertina kauft seit mehr als zehn Jahren Arbeiten der Künstlerin an. Direktor Klaus Albrecht Schröder würdigte am Donnerstag Ghisettis „Versuche, Grenzen zu überschreiten“ und die „Biegung der Wirklichkeit“ in ihren Arbeiten.
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