Furiose Gitarrenklänge, dazu eine Frauenstimme, die mit mexikanischem Akzent deutsche Texte liest, und an den Fabrikwänden jede Menge überdimensionale Frida-Kahlo-Bilder.
Das ist die „Viva Frida Kahlo“-Show in Zürich, die innerhalb von zwei Monaten mehr als 50.000 Besucherinnen und Besucher angezogen hat.
In einem einstigen Industrieviertel unweit der Innenstadt ist die ausgediente Halle einer Maschinenfabrik der „immersiven Kunst“ gewidmet, mit der ein „Eintauchen“ der Besucher, die die virtuelle Illusion als Realität erleben sollen, bezeichnet wird. Die Macher sprechen von einem „Lichtmuseum“. Der Shop am Ende mit Kunstwerk-Kommerz auf Socken, Täschchen und Tüchern erinnert ein bisschen an einen Museumsshop. Aber anders als in Museen gibt es keine Originalwerke, keine Wärter, die Besucher in Schach halten, und Kinder können überall nach Lust und Laune fangen spielen.
Das Geschäft mit immersiven Ausstellungen boomt. Tokio, Shanghai, Amsterdam, New York, Melbourne – van Gogh, Monet, Klimt, Dali, Picasso, Hundertwasser – gerade die Superstars der Malerei kommen dabei zum Einsatz, in ehemaligen Lager- und Industriehallen, aber inzwischen auch schon in Museen, die angesichts des Erfolgs ganze Etagen frei räumen für immersive Erfahrungen. Auch in Deutschland sind Veranstalter auf den Erfolgszug gesprungen, in Köln, Bremen, Dresden, Berlin, München und an anderen Standorten. In Wien läuft derzeit „Van Gogh Alive“ in der METAStadt, einem ehemaligen Fabriksareal in Wien-Donaustadt.
Monets Seerosen untermalt von wohliger Musik oder Frida Kahlos Selbstporträts ziehen dann überdimensional über die Hallenwände. Die Shows laufen in Endlosschleife. Dass grober Backstein mal eine Beule im Gesicht oder Wandvorsprünge einen Knick im Seerosenteich erzeugen – geschenkt. Dafür erwachen die Kunstwerke zum Leben: Ein Zug aus einem Monet-Bild dampft plötzlich animiert über die Wand, Skelette aus Frida Kahlos Werken legen ein Tänzchen ein. Besucherinnen und Besucher sollen ganz eintauchen in die Werke der Protagonisten. Für „Kunstgenuss mit digitaler Tiefe“ werben die Veranstalter die Frida-Kahlo-Show: „Pixel ersetzen Pinselstriche“.
Die „Süddeutsche Zeitung“ tat solche immersiven Ausstellungen 2019 als „bunten Bombast aus Licht, Skulptur und Digitalem“ ab und sprach von Stimmungsduselei und Kitsch. Der Co-Produzent der Kahlo-Show, Darko Soolfrank, spricht dagegen von Edutainment, zusammengesetzt aus Education (Bildungsarbeit) und Entertainment (Unterhaltung), also Wissensvermittlung auf unterhaltsame und spielerische Weise. „Wir versuchen, alle Sinne anzusprechen, und wollen die Menschen über Emotionen erreichen“, sagt er der Deutschen Presse-Agentur. Die 45-Minuten-Show kostet am Wochenende knapp 30 Euro pro Erwachsenem.
Vor dem Betreten des Lichtspektakels in der MAAG-Lichthalle gibt es eine Zeittafel mit den Stationen in Kahlos Leben. Neben den Bildern werden auch Fotos an die Wände projiziert und die Stimme mit dem mexikanischen Akzent liest aus Originalschriften von Kahlo. „Wir haben alles, von Schulklassen über den klassischen Museumsgänger bis zu den jungen Urbanen, und TikToker“, sagt Darko Soolfrank. Museen kämen eher steif daher. „Bei uns ist es lockerer, es gibt keine Hemmschwelle.“
Elke Kollar, Vorsitzende des Bundesverbandes Museumspädagogik, findet den immersiven Ansatz spannend. Das Eintauchen könne die Wahrnehmung der Kunst schärfen, sagt sie der dpa. „Ich sehe dies nicht als direkte Konkurrenz zu Museen“, sagt sie. Auch für Museen selbst könnten solche Formate attraktiv sein, denn für viele sei es eine Herausforderung, mit neuen Medien Schritt zu halten. „Das gibt einen neuen Zugang zur Kunst und bringt neues Publikum ins Haus.“
Aus diesem Grund hat das amerikanische Indianapolis Museum of Art in Newfields 3.000 Quadratmeter in der vierten Etage freigeräumt für seinen eigenen Lichtshow-Raum „The Lume“. Zur Begründung hieß es, damit könnten Barrieren abgebaut werden zu Menschen, die glauben, nicht viel von Kunst zu verstehen, und die von Museen eher abgeschreckt würden. Zur Zeit wandern Besucher dort durch Van Goghs Kornfelder und unter seinen Sternenhimmeln.
Kollar vom Bundesverband Museumspädagogik sagt, alle Annäherungsweisen an Künstlerinnen und Künstler hätten ihre Berechtigung. Immersive Ausstellungen könnten Distanz zur Kunst auflösen. „Vielleicht sehe ich das Original ganz anders nach einer Immersion“, meint sie. Kulturvermittler fragten sich oft, wie Museen zeitgemäßer gemacht werden könnten. „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht nur nach klassischem Zielpublikumsschema arbeiten sondern auch sehen, was die Menschen wünschen“, sagte sie.
„Van Gogh Alive“: METAStadt, Wien 22, Dr. Otto-Neurath-Gasse 3, 18. November 2021 bis 8. März 2022, tgl. 10-20 Uhr,
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