Ankauf hochkarätiger Sammlung ergänzt Karl Kraus-Archiv – Ausstellung zur Familiengeschichte
© bild pixabay
Anlässlich des 150. Geburtstages von Karl Kraus am 28. April 1874 nimmt die Wienbibliothek im Rathaus dieser zentralen Figur der europäischen Moderne in den Fokus: Der Ankauf einer bemerkenswerten Sammlung mit Manuskripten, unveröffentlichten Essays sowie knapp 50 Korrespondenzstücken an Irma Karczewska ergänzt den bereits bisher maßgeblichen Bestand des Karl Kraus-Archivs. Mit dem neuen, digitalen Karl Kraus-Portal auf Wien Geschichte Wiki ist ein erweiterter, partizipativer Diskurs zu Leben und Wirken des Sprach- und Kulturkritikers, Satirikers, Publizisten und Schriftstellers möglich. Und die Ausstellung »Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben« zeigt Kraus ab 26. April erstmals mittels privater Postkarten, Briefe und Memorabilien als Teil einer faszinierenden jüdischen Großfamilie.
»Die unschätzbare Bedeutung von Sammlungs- und Forschungschwerpunkten zum kulturellen Gedächtnis der Stadt zeigt sich im internationalen Kontext: Seit 2016 ist das Karl Kraus-Archiv der Wienbibliothek im Rathaus Teil des UNESCO National Memory of the World-Registers, welches das dokumentarische Erbe der Menschheit bewahrt. Ein großer Teil des Kraus-Archivs ist bereits – ganz im Sinne des Digitalen Humanismus – als interdisziplinärer Wissens- und Erinnerungsraum digital für alle Interessierten zugänglich. Umso mehr freut es mich, dass der umfangreiche Bestand nun mit dem Ankauf einer bisher nicht öffentlichen Sammlung zu Karl Kraus erweitert werden kann«, so Veronica Kaup-Hasler, Stadträtin für Kultur und Wissenschaft. »Außerdem begrüße ich die geplante Kooperation mit den Wiener Festwochen: Zahlreiche Veranstaltungen werden rund um die Karl Kraus-Ausstellung der Wienbibliothek im Rathaus eine
breitere Öffentlichkeit mit dem Leben und Wirken des Satirikers bekannt machen.«
Ankauf hochkarätiger Privatsammlung zu Karl Kraus
Karl Kraus (1874–1936) prägte mit seinem monumentalen Werk seine Zeit ebenso, wie sie ihn prägte: Seine Medienkritik, sein präzises Sprachdenken und aufklärerischer Witz haben in Essays, Aphorismen, Gedichten und Dramen, erschienen großteils in seiner Zeitschrift »Die Fackel«, sowie durch Vorlesungen, Radiosendungen, Plakatkampagnen und in Form von Rechtsfällen das kritische Denken seiner Epoche beeinflusst und zeigen bis heute, was es heißt, ein öffentlicher Akteur zu sein.
Die Wienbibliothek im Rathaus, die seit den 1950er-Jahren das Karl Kraus-Archiv beherbergt und mit mittlerweile tausenden von Manuskripten, Fahnen, Briefen und Lebensdokumenten zur einem der Zentren der Kraus-Forschung zählt, konnte eine hochkarätige Sammlung, die sich bisher in Privatbesitz befunden hat, erwerben: Sie umfasst u. a. originale Manuskripte von sechs bisher unveröffentlichten Essays sowie Korrespondenzstücke und Texte von Hermann Bahr, Felix Salten und Frank Wedekind. Zur »Dritten Walpurgisnacht«, jenem Sprachkunstwerk, mit dem Kraus zu Adolf Hitler und dessen auf Propagandalügen aufgebauter Gewaltherrschaft höchst Bedeutendes einfiel, enthält die Sammlung ein frühes, vom Autor eingehend überarbeitetes Typoskript.
Von zentraler Bedeutung sind die knapp 50 Korrespondenzstücke, die Kraus ab 1906 an Irma Karczewska gerichtet hat. Kraus löste Karczewska als Vierzehnjährige aus der elterlichen Obhut, um sie als Schauspielerin zu fördern, rasch verband die beiden auch eine intime Beziehung. An ihrer Person wurde vom Psychoanalytiker und Schriftsteller Fritz Wittels die zweifelhafte Vorstellung um das »Kindweib« entwickelt: Diese männliche Fantasie, die auch Kraus bestärkte, blieb ein einflussreiches und problematisches Erbe der Wiener Moderne, etwa in der Frage des sexuellen Schutzalters von Kindern. In den frühen 1930er-Jahren schrieb Karczewska für Kraus ein vorwurfsvolles Tagebuch. Diese Abrechnung mit dem vermeintlichen Retter befindet sich bereits seit den 1990er-Jahren im Bestand der Wienbibliothek im Rathaus und erhält jetzt mit den Briefen an Karczewska ein gewichtiges Gegenstück, das der wissenschaltlichen Forschung für eine kritische Auseinandersetzung zur Verfügung gestellt wird. »Dokumente wie die erworbenen Korrespondenzstücke ermöglichen es der Wissenschaft, unter allen Aspekten zu Leben und Werk zu forschen. Das beinhaltet eine kritische Auseinandersetzung im historischen Kontext ihrer Entstehung ebenso wie in der Lesart von heute, die noch einmal neue Zugänge eröffnet«, zeigt sich Katharina Prager, Leiterin für Forschung und Partizipation der Wienbibliothek im Rathaus sowie Herausgeberin des »Karl Kraus-Handbuch«, überzeugt.
KARL KRAUS-PORTAL AUF WIEN GESCHICHTE WIKI
Zum 150. Geburtstag entsteht auf der digitalen Plattform Wien Geschichte Wiki derzeit das Karl Kraus-Portal, das einen erweiterten Diskurs ermöglicht. Zu Kraus und zur Wiener Moderne Forschende wie Interessierte sind eingeladen, mit eigenen Einträgen ihr Wissen einzuschreiben und mit den bestehenden Quellen der Wienbibliothek Digital zu verknüpfen.
»Bereits seit zehn Jahren laden wir mit dem Wien Geschichte Wiki ein die (Kultur-)Geschichte Wiens partizipativ zu schreiben. Indem wir unsere Sammlungen zum Gedächtnis der Stadt auch digital für alle zugänglich machen, entstehen durch das Wissen der Vielen neue Erkenntnisse und Perspektiven«, so Wienbibliothek-Direktorin Anita Eichinger. »Es ist für unsere demokratische Gesellschaft von immenser Wichtigkeit, im digitalen Raum gesichertes, fakten- und quellenbasiertes Wissen zu schaffen und anzubieten.«
AUSSTELLUNG
»Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben –
Die Familie des Satirikers Karl Kraus« (ab 26. April 2024)
Karl Kraus wurde mit seiner Zeitschrift »Die Fackel« sowie durch öffentliche Kampagnen und Auftritte zur gefeierten wie gefürchteten kritischen Instanz seiner Zeit. Zum privaten Kraus ist bisher nur wenig bekannt, hielt er doch seine Familie sowie seine Lieb- wie Freundschaften aus der Öffentlichkeit heraus. Die mondäne und progressive Kraus-Dynastie, die sich vom böhmischen Jičín aus in der Welt des mitteleuropäischen Großbürgertums etablierte, blieb daher bis heute großteils im Verborgenen. Die Wienbibliothek im Rathaus zeigt mit der Ausstellung »Das Familienleben ist ein Eingriff in das Privatleben – Die Familie des Satirikers Karl Kraus« (ab 26. April 2024), dass Kraus zeitlebens Teil einer faszinierenden jüdischen Großfamilie war, über der heute der Schatten der Shoah liegt. Im Rahmen einer Kooperation mit den Wiener Festwochen sind zahlreiche Veranstaltungen in Planung.
Kultur Online TV-FM
#news #literatur