OESTERREICH

Robert Menasse erhält den Bruno-Kreisky-Preis 2022

Der Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch 2022 geht an Robert Menasse für den Roman “Die Erweiterung”.

© Heike Huslage-Koch, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Bei dem Werk, der Fortsetzung von Menasses EU-Bestseller “Die Hauptstadt”, verbinden sich Sachkenntnis, Ironie und ein starkes europäisches Herz, so die Begründung der Jury. Menasse folgt mit der Auszeichnung seiner Schwester Eva nach, die im Vorjahr für “Dunkelblum” geehrt wurde. Den Preis für das publizistische Gesamtwerk erhält indes Salman Rushdie.

“Sein Name und sein Werk sind Symbol für die universelle Kraft der Freiheit des Wortes und für den Preis, den man dafür bezahlen kann”, hieß es am Sonntag in einer Aussendung über den Geehrten, der im Vorjahr durch das Attentat eine religiösen Fanatikers schwer verletzt wurde.

Der Sonderpreis “Arbeitswelten – Bildungswelten” geht heuer an Alexia Weiss für “Zerschlagt das Schulsystem und baut es neu”, während es gleich zwei Anerkennungspreise gibt. Judith Kohlenberger wird hiermit für ihre Schrift “Das Fluchtparadox” gewürdigt, Marlene Engelhorn für ihr Buch “Geld”. Und schließlich geht ein Preis für besondere verlegerische Leistungen an den Verlag Kremayr & Scheriau, der unter anderem Bruno Kreiskys Memoiren veröffentlichte.

Bruno Kreisky betonte stets, durch das Lesen von Büchern „geformt worden zu sein“. Dieser Inspiration folgend wird seit 1993 der Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch verliehen. Jährlich wird damit vom Karl-Renner-Institut in Zusammenarbeit mit dem SPÖ-Parlamentsklub und der sozialdemokratischen Bildungsorganisation politische Literatur ausgezeichnet, die für Freiheit, Gleichheit, soziale Gerechtigkeit, Solidarität und Toleranz einsteht. Den Hauptpreis für das Politische Buch des Jahres 2022 erhält Robert Menasse für „Die Erweiterung“ (Suhrkamp, 2022). Der Preis für das publizistische Gesamtwerk wird heuer an Salman Rushdie vergeben. Die Preisverleihungen finden im ersten Halbjahr 2023 in Wien statt. ****

Zum Hauptpreis: Wenn es einem Chronisten der EU-Geschichte, zu dem Robert Menasse jedenfalls geworden ist, gelingt, einen intellektuell anspruchsvollen Unterhaltungsroman vorzulegen, so ist dies bei dem oft als technokratisch, langweilig und spröde denunzierten Außenbild der Europäischen Union eine großartige erzählerische Leistung. In „Die Erweiterung“ verbinden sich detailreiche Sachkenntnis, eine gehörige Portion Ironie und ein starkes europäisches Herz zu einem Roman, der als historisches Lehrbuch, Tragödie, Satire und Liebesgeschichte gelesen werden kann. Diese Vielfalt der erzählten Geschichte, die sich um den Beitrittswunsch Albaniens entspinnt, führt so ins schillernde Innenleben der EU. Zwei „Blutsbrüder“, verbunden durch einen Schwur im Untergrundkampf gegen das polnische kommunistische Regime, machen nach der Wende politische Karrieren. Der eine wird Regierungschef Polens, der andere ein hoher Beamter der Europäischen Kommission, zuständig für die Erweiterungs-Politik. Unzählige menschliche Schicksale werden episch aufgespannt und verbinden sich dann doch in einem großen Showdown. Trotz vieler Ambivalenzen, Untiefen und Niederungen dieser europäischen Figuren und deren „Politik“ ruft Menasse mit seinem zweiten Europa-Roman dazu auf, dass wir uns angesichts wachsender Nationalismen viel öfter an dem großartigen Projekt vereinigtes Europa erfreuen und intensiver um es kämpfen sollten.

Der Preis für das publizistische Gesamtwerk wird heuer an Salman Rushdie vergeben. Sein Name und sein Werk sind Symbol für die universelle Kraft der Freiheit des Wortes und für den Preis, den man dafür bezahlen kann. Rushdie ist ein Meistererzähler, der mit seiner literarischen Kraft, die Magisches und Reales verbindet, alle Schleier von Lüge, Propaganda und Torheit provokant durchdringt und uns vor Augen führt, wie trügerisch, provisorisch und hinfällig die menschliche reale Welt doch ist. Das hat seit der Veröffentlichung der „Satanischen Verse“ sein Leben geprägt. Im Jahr 1989 belegte ihn eine Fatwa mit dem Todesurteil. 33 Jahre später wurde er „lebensverändernd“ durch ein Attentat eines religiösen Fanatikers schwer verletzt.

Sein Kampf und sein Schicksal im globalen Konflikt um das Recht, schreiben zu dürfen, wonach dem freien Geist der Sinn steht, geht uns alle an. Rushdies Werk hat die Weltliteratur geprägt. Es wurde mit zahlreichen internationalen Preisen bedacht und in über 40 Sprachen übersetzt.

Die weiteren Preisträger*innen im Überblick:

Der Sonderpreis „Arbeitswelten – Bildungswelten“ geht an Alexia Weiss für „Zerschlagt das Schulsystem und baut es neu“ (Kremayr & Scheriau, 2022). Die Journalistin und Autorin zeigt, wie groß die Unzufriedenheit mit dem österreichischen Schulsystem bereits ist – bei den Pädagog*innen und bei den Eltern. Der Druck und das Pensum sind groß. Der Schulalltag bewegt sich zwischen Über- und Unterforderung der Kinder und Überlastung der Lehrenden und Eltern. Weiss beschreibt in ihrer Publikation mutige Ansätze, wie in einem inklusiven Schulsystem die Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes in den Vordergrund gerückt, Defizite ausgeglichen und Talente gefördert werden können. Ideologische Fragen müssen dabei in den Hintergrund treten und die physische, psychische, soziale sowie ökonomische Situation eines Kindes im Zentrum stehen.

Der Anerkennungspreis wird heuer zweifach vergeben: An Judith Kohlenberger für ihre Schrift „Das Fluchtparadox“ (Kremayr & Scheriau, 2022) und an Marlene Engelhorn für ihr Buch „Geld“ (Kremayr & Scheriau, 2022).

Wenige brennende Themen sind so sehr der undifferenzierten Polemik und populistischen Mobilisierung ausgesetzt wie das Thema Flucht. Auf dem Rücken von Menschen, die so viel verloren haben und massiv unter Druck stehen, wird politisches Kleingeld gewechselt, ohne Hilfe und politische Lösungen anbieten zu wollen. Umso wichtiger sind wissenschaftliche Forschung und Expertise, wie Fluchtforscherin Judith Kohlenberger sie für die öffentliche Debatte einbringt. Ihr Buch ist eine detaillierte Analyse unseres Umgangs mit Vertreibung und Vertriebenen und ein Aufzeigen von Wegen einer menschlichen Asyl- und Integrationspolitik. Sie mahnt moralische Verantwortung und das Vertrauen in unsere Institutionen, unseren Rechtsstaat und unsere Zivilgesellschaft ein.

Marlene Engelhorn weiß, wovon sie spricht: Sie ist eine Millionenerbin, die mit der Aussage, 90 Prozent ihres Erbes spenden zu wollen, das Licht der Öffentlichkeit suchte. Warum? Mit diesem Schritt wollte sie auf das gesellschaftspolitische Problem der Intransparenz von Reichtum und den demokratiepolitischen Schaden, den Überreichtum anrichtet, hinweisen. Ihre persönlichen Erfahrungen, ihre gesellschaftspolitischen Thesen und ihre damit verbundenen Forderungen hat sie nun in einem packenden Buch veröffentlicht. Sie stellt drängende Fragen: „Wie viel ist genug?“, „Was ist das gute Leben für alle?“, „Wie wollen wir teilen?“ und „In wessen Händen liegt das Recht zu entscheiden?“. Ihr Text gibt spannende Antworten und entwirft eine Vision einer gerechten demokratischen Gesellschaft.

Der Preis für besondere verlegerische Leistungen geht an den Verlag Kremayr & Scheriau. Der Verlag Kremayr & Scheriau wurde im Jahr 1951 von Rudolf Kremayr und Wilhelm Scheriau gegründet, 1966 beteiligte sich Bertelsmann am Verlag und 1991 wurde der Orac-Sachbuchverlag übernommen. Zu den großen Erfolgen der Vergangenheit gehören u. a. Hugo Portisch und sein Opus magnum „Österreich I“ und „Österreich II“, die Memoiren von Bruno Kreisky und das „Österreichische Jahrhundert“ von Hellmut Andics. Einen besonderen Schwerpunkt seit langem, und vor allem auch gegenwärtig, bilden kritische Sachbücher, die den gesellschaftspolitischen Diskurs in Österreich seit jeher bereichern. Im Jahr 2015 wurde schließlich eines der spannendsten Literaturprogramme mit dem Fokus auf junge österreichische Gegenwartsautor*innen ins Leben gerufen, das dem Spiel mit Sprache freien Lauf lässt und der Literatur Innovationsräume eröffnet.

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