Moral ruiniert die Musik

Freddie Mercury feierte Orgien, David Bowie kokettierte mit Nazisymbolen, Eric Clapton äußerte sich rassistisch. Warum wird Popstars heute nichts mehr verziehen?

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Hat da jemand „Morrissey“ gerufen? Der Ego- und Exzentriker darf nicht fehlen, wenn die Selbstgerechten über die Selbstverliebten urteilen. Bereits zu den Zeiten der Smiths war sein Wort Gesetz. Er war eine Art alternativer Moses, der der Independent-Szene die Gesetzestafeln brachte und, wenn nötig, über den Unbelehrbaren zerbrach.

Musikkritiker sind nicht cool. Trotzdem hat es Regisseur und Ex-„Rolling Stone“-Autor Cameron Crowe in seinem autobiografischen Film „Almost Famous“ geschafft, dem Beruf ein Denkmal zu setzen. Der Lester Bangs im Film trägt Lederjacke, raucht und redet begeistert und begeisternd über Musik ohne jede Peinlichkeit.

Der reale Lester Bangs lebt in kleinen Wohnungen in Detroit und New York. Er hastet Aufträgen hinterher und mag codeinhaltigen Hustensaft. Weil der billig ist und trotzdem knallt. Anders als der weise Mentor der Hauptfigur in Crowes Film ist er sperrig, kontrovers und oft einfach unangenehm.

Auch die Musikkritikerin Ellen Willis setzt in den 70er-Jahren große Hoffnungen auf die emanzipatorischen Möglichkeiten von Rock. Die Journalistin und Aktivistin war zusammen mit Shulamith Firestone eine der Gründerinnen der „Redstockings“ und schreibt für „The New Yorker“ Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre Musikkritiken.

Sie erklärt der eher bourgeoisen Leserschaft die neue Rockkultur, und zwar aus explizit feministischer Position und mit Glauben an die sexuelle Revolution.

Rockmusik ist zusammen mit feministischer Theorie eine ihrer Befreiungen. Sie thematisiert den Sexismus und die männliche Fixierung der Rockszene. Gleichzeitig ist sie kritische Liebhaberin von Bands wie „Creedence Clearwater Revival“ und vor allem von „Janis Joplin“.

Ellen Willis‘ Ästhetik des Widerstandes ist durch Lust und Freiheit geprägt. Sie ist sich der Widersprüche dieser Konstellation bewusst. 1979 schreibt sie über ihr Verhältnis zum Song „Bodies“ von den „Sex Pistols“, den sie wegen seiner Antiabtreibungsbotschaft und des Körperekels eigentlich ablehnen müsste.


Bis zu ihrem Tod 2006 schreibt Ellen Willis nach diesem Essay fast nur noch politische Kommentare und soziokulturelle Analysen. An einem Punkt berühren sich die lustgeprägte Ellen Willis und der von Schmerz getriebene Lester Bangs: „The Velvet Underground“ halten beide für einen Höhepunkt der Musik. Weil die Band fragt, wie Menschen miteinander umgehen sollen.

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