Nach mehrjährigem Umbau eröffnet am Samstag in Moskau mit dem von Renzo Piano für kulturelle Zwecke adaptierten Kraftwerk „GES-2“
Verantwortlich für das Projekt ist eine umtriebige Kulturmanagerin aus Italien, die 2009 einen der reichsten Russen überzeugte hatte, sich groß im Kunstbetrieb zu engagieren.
Wiederholt verschoben, darf die Eröffnung des 27.000 Quadratmeter großen Baus, in dem bis 2006 Strom produziert wurde, als Meilenstein gelten. Es gibt im Russland keine weiteren Zentren vergleichbarer Größenordnung, in denen sich private oder auch staatliche Institutionen ausschließlich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigen würden. Diese historische Bedeutung wurde noch vor der offiziellen Eröffnung auch von allerhöchster Stelle gewürdigt: Russlands Präsident Wladimir Putin ließ sich am Mittwoch von V-A-C-Direktorin Teresa Iarocci Mavica, dem Multimilliardär Leonid Michelson sowie Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin durch „GES-2“ führen.
Jahrestage spielen in Russland eine besondere Rolle und kritische Beobachter scherzten am Mittwoch, dass Putins Visite ausgerechnet auf den Tag genau 59 Jahre nach einer zentralen Episode der sowjetischen Kunstgeschichte erfolgt sei: Am 1. Dezember 1962 hatte der Regierungs- und Parteichef Nikita Chruschtschow eine Ausstellung sowjetischer Avantgardisten besucht und dort zu einer wüsten wie folgenreichen Tirade gegen abstrakte Kunst angesetzt. Dieser Kelch ging an „GES-2“ vorüber: Im Fernsehen ausgestrahlte Passagen zeigten jedoch äußerst angespannte Gastgeber und einen grimmig wirkenden Präsidenten, der in Bezug auf die Institution nur etwas zur Vorgeschichte des Ortes im 17. Jahrhundert murmelte. Zeitgenössische Kunst schien ihn nicht zu interessieren.
Zu verdanken ist „GES-2“ insbesondere der Italienerin Teresa Iarocci Mavica: Die Kulturmanagerin und Kuratorin lebte nach einem Wirtschaftsstudium in der Sowjetunion lange Zeit in Russland und hatte seit den Nullerjahren Kunstaktivitäten von russischen Superreichen betreut. Bei Überlegungen, so erzählt ein Insider, eine solide private Kunstinstitution nach westlichen Vorbildern und mit internationaler Ausstrahlung aufzubauen, sei sie an den in der Gasbranche tätigen Oligarchen Michelson geraten. Dieser habe seinerzeit zwar kulturelle Ambitionen gehabt, aber absolut nichts von Kunst verstanden.
2009 gründen die Kulturmanagerin und der Multimilliardär die Stiftung V-A-C, die Bezeichnung wird mit „Victoria – the Art of being Contemporary“ entschlüsselt. Bei Victoria handelt es sich um eine Tochter Michelsons. Iarocci Mavica verstand es jedenfalls, den studierten Bauingenieur Michelson für Kunst zu begeistern. Der Superreiche, den das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ zuletzt mit einem Vermögen von 22 Milliarden Euro taxierte, war seit damals wiederholt als unscheinbarer Zaungast bei europäischen Kunstevents zu beobachten. Mit russischer und internationaler Kunst setzte die Stiftung aber auch selbst Aktivitäten am Rande der Biennale von Venedig, wo 2017 am Zattere eine eigene Location eröffnet wurde.
Parallel kaufte Michelson in Wurfweite des Kreml ein stillgelegtes Kraftwerk und beauftragte den italienischen Stararchitekten Renzo Piano mit dessen Adaptierung, deren Kosten laut Medienberichten auf 150 Mio. Euro geschätzt wurden. In Moskau beschäftigten sich Iarocci Mavica und eine wachsende Zahl von Kuratoren indes mit künstlerischen Experimenten: In einem Museum war 2018 etwa eine dreiteilige „Generalprobe“ mit unterschiedlichen kuratorischen „Libretti“ zu sehen. 2019 präsentierte die Stiftung eine „GES-2“-Oper und lud den isländischen Künstler Ragnar Kjartansson zu einer eindrucksvollen Musikperformance ein, in der er eine Stunde lang die Phrase „Traurigkeit besiegt das Glück“ sang.
Kjartansson spielt nun auch im Eröffnungsprogramm eine zentrale Rolle: In der Langzeitperformance „Santa Barbara“ gilt es, bis Mitte März 100 Folgen der gleichnamigen, in den 90er-Jahren in Russland äußerst populären Telenovela aus den USA vor Publikum nachzudrehen. Insgesamt sind aufwendige Produktionen zu erwarten, die durchaus auch für Aufmerksamkeit im Ausland sorgen könnten. In Ermangelung einer eigenen Kunstsammlung von herausragender Bedeutung positioniert sich „GES-2“ explizit nicht als Museum. In Anspielung an sowjetische Vorbilder ist von einem „Dom kultury“ (DK) – „Kulturhaus“ – die Rede: Spartenübergreifend soll nicht nur rezipiert, sondern auch im Haus auch produziert werden, DK suggeriert zudem eine gewisse sozialistische Niederschwelligkeit.
Mit Spannung darf gleichzeitig erwartet werden, wie sich „GES-2“ angesichts eines autoritären und äußerst konservativen Zeitgeists in Russlands positionieren wird, der unter anderem zu einer Zunahme von Selbstzensur im Kunstbetrieb geführt hatte. Trotz der Kreml-Nähe von Michelson ist mit Gegenwind zu rechnen. Als im August vor dem Gebäude die zwölf Meter hohe Skulptur „Großer Ton Nr. 4“ des Schweizer Künstlers Urs Fischer errichtet wurde, kam es in sozialen Netzwerken zu einem Sturm der Empörung über das Kunstwerk, das manche an Kot erinnerte. Selbst der Moskauer Bürgermeister Sobjanin musste zur Verteidigung ausrücken. Er versicherte aber gleichzeitig, dass die Skulptur in einigen Monaten wieder verschwinden würde.
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