Die Regisseurin Yamina Benguigui verknüpft in ihrem Drama „Schwestern – Eine Familiengeschichte“ die französische Kolonialvergangenheit mit privaten Traumata.
Schwestern, Brüder, Mütter, Väter. Irgendwann blickt auch die Theaterleiterin nicht mehr durch. „Das Stück ist ein einziges Chaos“, meint sie zur Regisseurin Zorah, gespielt von Isabelle Adjani, in einem Krisengespräch.
Die Geschichte habe zu viele Ebenen, Zorah solle die Inszenierung straffen. Man muss der französischen Regisseurin Yamina Benguigui zugutehalten, dass sie aus der Ironie dieser Szene keinen Hehl macht.
Yamina Benguigui, geborene Yamina Zora Belaïdi, ist eine französische Filmregisseurin, Drehbuchautorin und Filmproduzentin, die vor allem durch die 2010 mit dem Civis – Europas Medienpreis für Integration ausgezeichnete Fernsehserie Aïcha bekannt wurde.
Ihr zweiter Spielfilm „Schwestern – Eine Familiengeschichte“ trägt ebenfalls schwer an der Ambition seiner Regisseurin, eine sehr komplizierte Geschichte um kulturelle Identität und Familie – und die Fragen, die sich daraus ergeben – angemessen komplex zu rekonstruieren. Benguigui erzählt dabei mehr als eine Familiengeschichte, wie der deutsche Titel suggeriert; ihr Film handelt von zwei Frauengenerationen und der Auseinandersetzung mit ihrer algerischen Herkunft.
Zorah, die älteste der drei titelgebenden Schwestern, ist am ehesten bereit, sich mit schmerzvollen Fragen zu beschäftigen. Das Problemkind, die jüngste Norah, spielt die Regisseurin Maïwenn, die in ihrem Film „ADN“ zuletzt ebenfalls ihre algerische Familiengeschichte befragte.
Norah hat gerade wieder ihren Job verloren und ist aus Mangel an Geld und Perspektiven gezwungen, bei Mutter Leïla (Fattouma Ousliha Bouamari) einzuziehen. Ihr Groll belastet das Wiedersehen, sie gibt der Mutter die Schuld an ihrer Misere, weil die sich vor Jahrzehnten scheiden ließ. Damit deutet Benguigui früh den Konflikt an, um den sich „Schwestern“ – und das Theaterstück Zorahs – dreht.
Dass Zorah ihre traumatische Familiengeschichte in aller Öffentlichkeit aufarbeiten möchte, sorgt für das nächste Konfliktpotential zwischen Mutter und Schwestern. Djamila (Rachida Brakni) will von der Vergangenheit, die ihrer politischen Karriere im Rathaus nur im Wege stehen würde, nichts wissen. Dank der Geschichte der Eltern, die im Unabhängigkeitskrieg gegen die Kolonialmacht gekämpft haben und später nach Frankreich emigrierten, ist sie eine „Bilderbuchmigrantin“ mit einer großen politischen Zukunft.
Darüber, dass der Vater seinen kleinen Sohn später gegen den Willen Leïlas mit Norah zurück in die algerische Heimat verschleppte, schweigen sich die Schwestern seit dreißig Jahren aus. Der verschollene Redah verkörpert die Leerstelle der Familie, eine Wunde, die das Theaterstück wieder aufreißt.
Es ist nicht die einzige kulturelle Asymmetrie, die Yamina Benguigui bloß legt. In der Welle von Culture-Clash-Komödien aus Frankreich ist „Schwestern“ tatsächlich eine wohltuend ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema der nationalen Identität, noch dazu mit den besten algerischstämmigen Darstellerinnen im französischen Kino. Versöhnliche Angebote a la „Monsieur Claude und seine Töchter“ macht Benguigui nicht. Man muss „Schwestern“, über dreißig Jahre nach der Blütezeit des Cinéma Beur, eher als erneuten Versuch für eine gemeinsame Gesprächsgrundlage verstehen.
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