Götz Aly – Wie konnte das geschehen – Deutschland 1933 bis 1945 

Rezension von Martin Both

Man sollte vorsichtig sein: „Wie konnte das geschehen?“, der Aufstieg der Nationalsozialisten zur Macht, der millionenfache Mord an den europäischen Juden. So verlockend es sein mag, mit den Antworten auf diese Frage unsere Gegenwart zu deuten: die neuen autoritären politischen Ideen, der Druck auf die demokratischen Institutionen, der Niedergang politischer Kommunikation, die neue Legitimität, die körperliche Gewalt und auch Krieg in unseren Gesellschaften erfährt. Auch wenn die Verlockung des Vergleichs groß ist, wir sollten ihm widerstehen!

Götz Alys gerade erschienenes Werk „Wie konnte das geschehen“ gibt dieser Verlockung erfreulicher Weise nicht nach. Detailliert schildert es die Methoden, mit denen die Nazis ihre Herrschaft erlangten, sie festigten und ihre politischen Ziele in Eroberungskriegen und Judenvernichtung umsetzen konnten.

Aly hat bereits in Büchern wie „Hitlers Volksstaat“ dargelegt, wie die junge NS-Bewegung mit ihren Aufstiegsversprechen genauso wie mit ihren sozialen Wohltaten die Mehrheitsgesellschaft wo nicht begeistern, so wenigstens ruhigstellen konnte. Neben einem aktionistischen Stakato aus Innen- wie außenpolitischen Vorstößen und der brutalen Überwachung und Unterdrückung abweichender politischer und gesellschaftlicher Ideen und Initiativen. 

Alys aktuelles Werk verdient unsere Aufmerksamkeit, weil es uns gegen den platten Vergleich mit der Zeit der zerfallenden Weimarer Republik immunisiert. Die Nazikeule wirkt nicht, weil sie mit Blick auf die Geschichte, wie Götz Aly sie herausarbeitet, wenig Substanz hat. Alice Weidel mag verlogen sein und ein autoritäres Staatsverständnis pflegen: Sie ist keine Nazischlampe. Björn Höcke mag von einem rassischen Volksbegriff her argumentieren und die Demokratie abschaffen wollen – und doch ist er kein Nazi!

Deutschland heute steht nicht an der Schwelle zum Bürgerkrieg, anders als im Jahr 1932. Anders als 1932 bekennt sich die politische Mehrheit im Land und die Mehrheit der Politikerinnen zu Demokratie und zu den rechtstaatlichen Institutionen. 

Götz Alys „Wie konnte das geschehen“ versucht die Antwort auf die Frage, wie Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg in die Nazidiktatur verfallen konnte. Der Wert des Buches liegt darin, dass es der leider oft sehr platt geführten Debatte um das Aufleben autoritärer, völkischer und nationalistischer Ideen Tiefe verleiht. Eine Tiefe, die die historischen Argumente in dieser Debatte erst wirksam machen kann.

Götz Aly, Wie konnte das geschehen – Deutschland 1933 bis 1945, S. FISCHER, August 2025, ISBN: 978-3-10-397364-8, 768 Seiten, 34 Euro

Götz Aly ist Historiker und Journalist. Er arbeitete für die »taz«, die »Berliner Zeitung« und als Gastprofessor. Seine Bücher werden in viele Sprachen übersetzt. 2002 erhielt er den Heinrich-Mann-Preis, 2003 den Marion-Samuel-Preis, 2012 den Ludwig-Börne-Preis. Bei S. Fischer erschienen von ihm u.a. 2011 »Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit, Neid und Rassenhass 1800-1933« sowie 2013 »Die Belasteten. ›Euthanasie‹ 1939-1945. Eine Gesellschaftsgeschichte«. Im Februar 2017 erschien seine große Studie über die europäische Geschichte von Antisemitismus und Holocaust »Europa gegen die Juden 1880–1945«. Für dieses Buch erhielt er 2018 den Geschwister-Scholl-Preis.

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Martin Both

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