Eine Riesen-Unternehmung“, nennt es MAK-Generaldirektorin Lili Hollein, „eine Ausstellung der Superlative mit über 1.000 Exponaten“
Josef Hoffmann. Fortschritt durch Schönheit“ ist nämlich „die größte Josef Hoffmann-Ausstellung, die es jemals gegeben hat, im Haus mit der größten Josef Hoffmann-Sammlung“. Die umfassende Retrospektive, die seit Dienstagmittag zugänglich ist, hält, was Hollein verspricht. Man sollte sich viel Zeit nehmen. Und den Katalog kaufen.
Drei Kuratoren planen seit drei Jahren an der Ausstellung, die ursprünglich anlässlich des 150. Geburtstags von Josef Hoffmann bereits vor einem Jahr eröffnen hätte sollen, ehe Corona für eine Verschiebung sorgte. „Wir haben sehr profitiert von dem vergangenen Jahr“, erklärte MAK-Kurator Rainald Franz bei der heutigen Online-Pressekonferenz. So habe man noch bis dato völlig unbekannte Zeichnungen und neue Forschungen einarbeiten können, und mit Ausstellungsarchitekt Gregor Eichinger mehr Zeit gehabt, eine optimale Präsentation zu erarbeiten. Er sei „vom karierten Papier des Josef Hoffmann ausgegangen“ und habe diesem im Ausstellungsdisplay quasi „eine dreidimensionale Form“ verliehen, sagte Eichinger. Tatsächlich stößt man in der Ausstellung immer wieder auf dieses karierte Papier und staunt, zu welchen Höhenflügen der gestalterischen Fantasie Hoffmann von diesem Rasterwerk aufbrechen konnte.
Josef Hoffmann (1870-1956) war Architekt, Designer, Lehrer, Ausstellungsmacher und Mitbegründer der Wiener Werkstätte. Palais und Villen, Wohnbauten und Ausstellungspavillons, Möbel und Teppiche, Vasen und Service, Schirmständer und Buchumschläge, Kleider und Stoffmuster, Lampen und Besteck, einfache Bleistiftskizzen und umfassend ausgearbeitete Interieurs – es gibt buchstäblich nichts, das es nicht gibt in dieser Ausstellung, die den Titel „Fortschritt durch Schönheit“ trägt. „Was ist der alles bestimmende Faktor in Hoffmanns Werk? Der Glauben an die Rettung der Welt durch das Schöne!“, erklärte Gastkurator Christian Witt-Dörring. „Obwohl sein Leben fünf verschiedene Regime durchläuft, von der Monarchie über die Erste Republik, den Ständestaat und den Nationalsozialismus bis zur Zweiten Republik, bleibt er seinem Credo treu. Obwohl er sich stilistisch kontinuierlich neu erfindet, bleibt er sich inhaltlich stets treu.“
Um diesen Antagonismus zu verdeutlichen, hat man die Ausstellung in zwei Teile gegliedert. Um die zentrale Ausstellungshalle verläuft die Ausstellung anhand einer an die Wand aufgetragenen Timeline chronologisch. So gelangt man von der Secession schließlich bis zu Hoffmanns Stoffbespannungen für die Erste Klasse Waggons der ÖBB aus den 1920er- und 1930er-Jahren, seiner Beauftragung mit dem Entwurf für den Österreich-Pavillon der Biennale Venedig mitten im Bürgerkrieg 1934 und seinen „politischen Bewertungen“, in denen er 1940 so eingeschätzt wurde: „Bis zum Umbruch politisch indifferent. (…) Hat erst nach dem Umbruch sein deutsches Herz entdeckt.“ Er habe zwar in der „verjudeten Wiener Werkstätte“ häufig mit Juden Umgang gepflegt, dürfe aber „in Hinsicht auf sein hohes Alter“ als „politisch einwandfrei“gelten.
Die Aufarbeitung seiner Rolle im NS-Kulturbetrieb („Eine einfache und zugleich komplexe Geschichte.“) sei einer von drei „innovativen Aspekten“, die anhand neuerer Forschungen in die Ausstellung eingebracht werden konnten, sagte Gastkurator Matthias Boeckl. Hoffmann habe im Ständestaat eine „Erosion seiner Prominenz“ feststellen müssen und über „ein persönliches Netzwerk in der frühen Wiener NS-Elite“ verfügt, über das er etwa auf eine Wiederbelebung der Wiener Werkstätte hoffte. „Josef Hoffmann hat sicher vieles ausgeblendet, was damals an gefährlichen und mörderischen Aktivitäten bereits sichtbar war.“
Ein weiterer wichtiger neuer Aspekt sei „der soziale Josef Hoffmann“, so Boeckl. „Uns ist es ein Anliegen mit dem Vorurteil aufzuräumen, dass Hoffmann nur die ästhetischen Ansprüche der oberen Zehntausend befriedigt hätte. Das Gegenteil ist der Fall. Seine Vision war, dass alle Ansprüche auf eine schöne Lebenswelt haben, die zur Identifikation taugt.“ Mit Entwürfen für Arbeiterkolonien, Werksiedlungen oder in der Zwischenkriegszeit, aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg gemeinsam mit Josef Kalbac realisierten Gemeindebauten führt die Ausstellung den Beweis. Drittens habe man „Resonanzen“ einarbeiten wollen. Der Abschnitt über das Weiterwirken von Hoffmanns Vorstellungen – etwa in der Postmoderne – ist allerdings sehr kurz gehalten. Dafür kann man einen von Ben James speziell für die Schau programmierten Artificial-Intelligence-Algorithmus erproben, der anhand von 2.600 eingelesenen Zeichnungen Hoffmanns typische Formensprache als „digitaler Assistent“ zur Verfügung stellt.
In der durch Durchbrüche von allen Seiten zugänglichen zentralen Halle (Witt-Döring: „Quasi der Kernreaktor seines Schaffens“) sind einige Hauptaspekte in einer Art Typologie ausführlicher dargelegt – etwa sein Hang zum Gesamtkunstwerk, die Verbindung von Klarheit und Weichheit oder die enge Zusammenarbeit mit dem Handwerk. Hier findet man zwei große Modelle von ikonischen Hoffmann-Wunderwerken, dem Palais Stoclet in Brüssel (1905-11) und dem Sanatorium Westend in Purkersdorf (1904/5). Hier ist eine Rekonstruktion des von ihm für die Pariser Weltausstellung entworfenen „Boudoir für einen großen Star“ (1937) aufgebaut. Und hier ist in unzähligen Vitrinen geballt zu sehen, was den Gestalter Josef Hoffmann interessierte. Nämlich buchstäblich: alles. „Diese Ausstellung soll inspirieren, Josef Hoffmann mit anderen Augen zu sehen“, wünscht sich Christian Witt-Dörring. Einige der hier neu verhandelten Aspekte werden auf einem internationalen Symposium im März vertieft. Denn, so Rainald Franz: „Es gibt noch viel zu tun und zu sagen zu Josef Hoffmanns Werk.“
(APA)
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