Das Bild von Jüdinnen und Juden ist in weiten Teilen der Mehrheitsgesellschaft von zahlreichen Missverständnissen geprägt. Das Jüdische Museum Wien, ein Museum der Wien Holding, spürt ab 30. November 2022 diesen Missverständnissen nach, sucht nach deren Hintergründen, hinterfragt und parodiert sie oder begegnet ihnen mit einem augenzwinkernden Lachen. Dabei geht es der Ausstellung nicht darum, Vorurteile gegen Jüdinnen und Juden aufzulösen, sondern nach den dahinterliegenden Missverständnissen zu fragen und diesen auf unterschiedlichen Ebenen – von historisch bis künstlerisch – zu begegnen.
100 Missverständnisse in sieben Kapiteln
Die Ausstellung „100 Missverständnisse über und unter Juden“ fragt in insgesamt sieben Kapiteln nach Stereotypen und Klischees, die mit der Romantisierung des Judentums, der Vorstellung, dass alles Jüdische mit der Schoa verbunden sei, sprachlichen oder moralischen Grenzüberschreitungen, Voyeurismus gegenüber Jüdinnen und Juden oder, Stereotypisierung und Aneignung von Jüdischem in Beziehung stehen. Als erste Ausstellung rückt sie philosemitische Vorurteile und Stereotype in den Fokus, die im Gegensatz zum Antisemitismus bisher kaum in den Blick genommen wurden.
Jüdinnen und Juden – „fremd“, „anders“, „besonders“?
Jüdinnen und Juden werden bis heute von vielen Menschen als „fremd“, „anders“ oder, positiv umgedeutet, als „besonders“ empfunden. Der Begriff „Jude“ bzw. „Jüdin“ ist auch noch über 75 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes für viele mit Scham belegt. Konstruktionen wie „jüdische Mitbürgerinnen“ oder „jüdische Menschen“ zeugen zwar von dem guten Willen, Diskriminierung und Othering zu vermeiden, führen jedoch genau dazu: Jüdinnen und Juden sind noch immer nicht Teil eines „Wir“, das kein Adjektiv zur näheren Bestimmung benötigt. Dem liegt das Missverständnis zugrunde, dass die jüdische einer wie auch immer gearteten „autochthonen“ Bevölkerung gegenübersteht, dass Jüdinnen und Juden eine – wenn auch alte – migrantische Gruppe seien. Dabei wird übersehen, dass alle Bewohnerinnen einer Gegend irgendwann von irgendwoher kamen und der Begriff des „Autochthonen“ in den nationalistischen Ideen des 19. Jahrhunderts verhaftet ist.
Wie aktuell viele Missverständnisse sind, zeigte sich nicht nur auf den Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, als sich Impfgegner*innen sich ein jüdisches Opfernarrativ aneigneten. Sie zeigt sich auch immer wieder in manchen erinnerungskulturellen Debatten, in denen alles tatsächlich oder nur angeblich Jüdische mit der Aura der Trauer belegt oder romantisch idealisiert wird. Manche Missverständnisse sind alt, manche haben sich erst nach der Schoa herausgebildet.
Auch jüdische Museen haben in Vergangenheit und Gegenwart dazu beigetragen, stereotype Bilder über Jüdinnen und Juden zu verfestigen. Die Ausstellung wirft einen kritischen Blick auf die eigene Museumsarbeit und fragt nach Missverständnissen, die dieser zugrunde liegen.
Missverständnisse stammen nicht von der Mehrheitsgesellschaft allein, sondern basieren auch auf Vorstellungen unter Jüdinnen und Juden. Eine gefühlte Verpflichtung zur innerjüdischen Solidarität oder die Idee einer gesamtjüdischen Geschichte führen zu Selbst- und Fremdbildern, die einem kritischen Blick oft nicht standhalten.
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