Anne of Green Gables“ als Selbstermächtigungs-Musical

Das Mädchen hat keinen guten Start ins Leben: Von ihrer Mutter an der Schwelle eines Klosters abgelegt, wird es von Geistlichen Schwestern aufgezogen und kommt später in ein Kinderheim, das mehr einem Arbeitslager gleicht.

Erst als es abhaut und von einem Bauern im Straßengraben aufgelesen wird, wendet sich das Blatt zum Guten. Was nach Charles Dickens oder Victor Hugo klingt, ist Lucy Maud Montgomerys Roman „Anne of Green Gables“. Der wurde jetzt auf die Bühne gebracht.

Der Intendant der Theaters der Jugend, Thomas Birkmeir, sieht die Heldin des 1908 erschienenen Buchs der Kanadierin Lucy Maud Montgomery (1874-1942) wohl zur Recht als Vorläuferin von Pippi Langstrumpf und hat gemeinsam mit Komponist Gerald Schuller daraus ein Selbstermächtigungs-Musical für Kinder ab sechs Jahren gemacht. Die Uraufführung wurde am Dienstag im Wiener Renaissancetheater bejubelt.

Im Zentrum der zweieinhalbstündigen Aufführung steht die 24-jährige Victoria Hauer als selbstbewusste „Anne mit einem E hinten“. Das Mädchen ist rothaarig, verwahrlost, vorlaut und dank der Klosterschwestern hochgebildet. Hauer punktet dabei auf allen Linien – mit geradezu ansteckender Begeisterung für die Möglichkeiten, die das Leben bietet, mit einem gut geölten Mundwerk, das ohne Rücksicht auf Verluste ständig im Einsatz ist, und auch mit einer gefühlvoll eingesetzten Singstimme. „Du kannst entscheiden, ob du Mäuschen bleibst oder als Löwin durchs Leben streifst“, singt sie. Da kann niemand widerstehen.

Dass der musikalische Teil der Produktion nicht ihre größte Stärke ist, tut der Spielfreude des ganzen Ensembles keinen Abbruch. Birkmeir, von dem überdies das praktikable Bühnenbildkonzept stammt, bei dem an der Rückwand filmische Kulissen für Bewegung sorgen, geht mit dem Musical-Genre sowieso augenzwinkernd um. Das reicht von „Sister Act“-Anleihen mit den swingenden Nonnen über „Les Miserables“-Zitate bis zu den Choreografien von Kaj Louis Lucke, die in einem temporeichen Buben-Mädchen-Wettstreit in der Schule, an dem sogar der an der Wand hängende Elch Anteil nimmt, ihren Höhepunkt feiern.

Birkmeir hat den Roman an etlichen Stellen verändert – das tut niemandem weh und ist dem jungen Publikum wohl herzlich egal. Das bekommt eine höchst unterhaltsame Anleitung zum Selbstbewusstsein, viel zum Lachen und sogar eine Fast-Kussszene (der obligate Kommentar aus dem jungen Publikum: „Bäh!“) geboten. Jetzt muss nur noch Corona mitspielen.

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