Die Nazis raubten ganze Buchbestände. Jetzt gibt die Friedrich-Ebert-Stiftung 17 wiedergefundene Bücher aus Bonn an die AK Bibliothek Wien zurück.
Die sozialwissenschaftliche Studienbibliothek der Arbeiterkammer Wien war in der Zwischenkriegszeit die europaweit bedeutendste Bibliothek ihrer Art. Nach der NS-Herrschaft waren von einst 140.000 Büchern nur noch etwa 35.000 auffindbar. Ein Großteil des Buchbestands war zerstört oder geraubt. Die in Bonn ansässige und global aktive Friedrich-Ebert-Stiftung untersucht in ihrer Bibliothek im Archiv der sozialen Demokratie seit Mitte 2020 systematisch ihre historischen Buchbestände auf ihre Herkunft und konnte 17 von den Nazis geraubte Bücher der AK Bibliothek zuordnen. Einige dieser Bände stammen beispielsweise aus der persönlichen Bibliothek von Victor Adler. Diese Bücher wurden jetzt der AK Bibliothek zurückgegeben.
Reiner Hoffmann, Vize-Vorsitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Ein wichtiges Aufgabengebiet der Friedrich-Ebert-Stiftung besteht in der historisch-politischen Bildungsarbeit. Wir sind daher stolz, uns als erste politische Stiftung in Deutschland des wichtigen Themas NS-Bücherraub systematisch angenommen zu haben. Wir fühlen uns der Aufgabe verpflichtet, die die „Gemeinsame Erklärung“ 1999 allen öffentlichen Einrichtungen auftrug: Die eigenen Bestände auf NS-Raubgut zu überprüfen sowie ggf. „gerechte und faire“ Lösungen herbeizuführen.“ Hoffmann weiter: „Es ist natürlich bemerkenswert, dass ausgerechnet die Friedrich-Ebert-Stiftung, die ja selbst aufgrund ihres Einsatzes für sozialdemokratische Werte und Ziele Opfer der NS-Herrschaft wurde, im Besitz von NS-Raubgut ist. Die Restitution an die Arbeiterkammer Wien ist uns daher ein besonderes Anliegen. Provenienzforschung und Restitutionen verstehen wir als integralen Bestandteil des Bemühens um Aufarbeitung historischen Unrechts.“
Ludwig Dvořak, AK Bereichsleiter Arbeitsrechtliche Beratung und Rechtschutz: „Mit dem Aufbau der sozialwissenschaftlichen Studienbibliothek trug die Arbeiterkammer bei ihrer Gründung dem Motto der Arbeiter:innenbewegung Rechnung: ‚Wissen ist Macht‘. Die Zerstörung dieser Bibliothek war auch ein symbolischer Akt der Nazis, der die dauerhafte Zerstörung dieser machtvollen Bewegung für Demokratie und soziale Gerechtigkeit dokumentieren sollte.“ Dvořak weiter: „Die Forschung der Friedrich-Ebert-Stiftung und die Heimkehr dieser Bücher in unsere Bibliothek ist deshalb von besonderer Bedeutung: Sie symbolisiert, dass dieses Zerstörungswerk des NS-Regimes trotz seiner mörderischen Terrorherrschaft nicht gelungen ist. Und sie erinnert uns daran, warum der Kampf für Demokratie und soziale Gerechtigkeit immer aufs engste mit dem Kampf gegen Rassenwahn und Antisemitismus verbunden bleibt.“
Die Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung steht in direkter Nachfolge der historischen SPD-Parteibibliothek. Diese wurde, ähnlich wie die damalige Studienbibliothek der Arbeiterkammer Wien, von den Nationalsozialisten aufgelöst und in der Nachkriegszeit auch mithilfe von Schenkungen wiederaufgebaut. Seit etwa drei Jahre befasst sich ein vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördertes Forschungsprojekt erstmals systematisch mit der Erforschung der Geschichte dieser Buchbestände. Dabei geht es nicht nur um die Bestandsaufnahme der kulturellen Verluste und um die Aufarbeitung des mit der Auflösung der Bibliothek begangenen Unrechts. Provenienzforschung macht im Zuge der Aufdeckung von Verlustgeschichten des NS-Bücherraubs auch Menschen sichtbar: Weniger bekannte Opfer der NS-Herrschaft – Arbeiter:innen, Gewerkschafter:innen und Sozialdemokrat:innen und deren Einrichtungen, ohne die unsere heutige freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht denkbar wäre.
Christian Maiwald, der das Forschungsprojekt im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung leitet: „Auf Grundlage unserer Forschungsergebnisse versuchen wir, die Biographien der Objekte sowie die wechselnden Besitzverhältnisse zu rekonstruieren. Dabei erkennen wir, wie rigoros die nationalsozialistische Vernichtungspolitik auf die Auslöschung jeglicher Erinnerung zielte. Arbeiterbibliotheken sind dafür ein aussagekräftiges Beispiel, die Verluste in diesem Bereich kaum zu beziffern. Diese Verlustgeschichten „zu erzählen“, heißt, weitestgehend unsichtbare Opfer des NS-Terrors zu erinnern.“
Für die Arbeiterkammer hat die „Heimkehr“ von 17 der einst geraubten Bücher einen hohen kulturellen und erinnerungspolitischen Wert. Ute Wödl, Leiterin der AK Bibliothek Wien für Sozialwissenschaften: „Jedes zurückgekehrte Buch ist ein weiterer Mosaikstein für die Geschichte der Institution und ihrer Sammlungsbiografie. Es erzählt, welche Verfasser:innen und Inhalte als wichtig genug angesehen wurden, um möglichst vielen Menschen in auch wirtschaftlich herausfordernden Zeiten als kostenlos entlehnbares Bibliotheksexemplar zur Bildung, Information, aber auch zum Lesevergnügen zur Verfügung zu stehen.“
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