100 Tage lang wird Kassel wieder zum Mekka für Kunstfans aus der ganzen Welt
Alle fünf Jahre findet in der Stadt in Nordhessen die documenta statt, die als bedeutendste Ausstellung für zeitgenössische Kunst gilt. Die Vorbereitungen für die Schau vom 18. Juni bis zum 25. September laufen auf Hochtouren. Zwar werden sie durch die Corona-Pandemie erschwert. Eine Verschiebung oder Absage ist derzeit aber kein Thema.
„Wir gehen weiterhin davon aus, dass die documenta wie geplant stattfinden wird“, sagt Generaldirektorin Sabine Schormann. Eine der größten Herausforderungen sei, dass Planungen wegen der notwendigen Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen nur kurzfristig möglich seien. Man hoffe auf eine möglichst entspannte Situation im Sommer, so Schormann. „Gleichzeitig müssen wir aber in allen Bereichen Lösungen für alle eventuellen Corona-Einschränkungen mitdenken, die auch kurzfristig flexibel an die jeweils akuten Notwendigkeiten angepasst werden können.“
So sei bei der Wahl der Veranstaltungsorte auf großzügige Räumlichkeiten mit vielen Außenbereichen geachtet worden – bei denen, falls nötig, auch „Einbahnstraßenregelungen“ gut umgesetzt werden könnten. Auch das Leitsystem für Besucherinnen und Besucher werde so geplant. Das hat auch finanzielle Folgen.
Schon im Juli hatte Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD) angekündigt, dass die Schau wegen der voraussichtlichen Auflagen teurer werden dürfte. Der bereits angehobene Etat von 42 Millionen Euro könnte Kalkulationen zufolge um einen siebenstelligen Betrag steigen. Die Stadt Kassel und das Land Hessen als Gesellschafter sagten zu, diesen Betrag gegebenenfalls jeweils zur Hälfte zu tragen.
Die diesjährige Schau werde sich von den 14 Vorgängern unterscheiden, kündigte das Künstlerkollektiv Ruangrupa aus Indonesien an, das die künstlerische Leitung innehat. Nicht nur wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie, sondern vor allem wegen der „kollektivistischen“ Ausrichtung. Ruangrupa entwickelt die documenta fifteen angelehnt an die indonesische Lumbung-Architektur. „lumbung“ ist in dem riesigen Inselstaat mit mehr als 270 Millionen Einwohnern das Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der die überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird.
So soll auch bei der Ausstellung das Teilen von Ressourcen zum Wohle aller im Mittelpunkt stehen. Die Teilnehmer – Kollektive, Organisationen und Institutionen aus aller Welt – sollen diesem Leitbild entsprechend gemeinsam „lumbung“ praktizieren. Große Namen der Kunstszene finden sich in diesem Jahr kaum.
Schon vor dem eigentlichen Beginn im Juni setzt Ruangrupa entsprechende Akzente. Die vorläufige Teilnehmerliste mit bislang 14 Kollektiven, Organisationen und Institutionen sowie 54 Künstlerinnen und Künstler hat das Künstlerkollektiv beispielsweise nicht im Rahmen einer klassischen Pressekonferenz bekanntgegeben, sondern in der Obdachlosenzeitung „Asphalt“ veröffentlicht. Ein Euro jedes verkauften Tickets geht an Nachhaltigkeitsprojekte in Deutschland und Indonesien.
Zu den bisher bekannten Teilnehmern zählt etwa der inzwischen verstorbene US-Konzeptkünstler Jimmie Durham (1940-2021), von dem posthum ein Beitrag zu sehen ist. Durham hatte mehrfach auf der Kunstbiennale in Venedig ausgestellt und war bei der dreizehnten Auflage der documenta 2012 dabei. Ebenfalls vertreten ist Richard Bell, der als einer der politischsten Maler Australiens der Gegenwart gilt. Dabei sind auch der Berliner Illustrator Nino Bulling, die philippinische Filmemacherin und Menschenrechtsaktivistin Kiri Dalena, die aus der Türkei stammende Künstlerin Pınar Öğrenci sowie die Filmemacherin Marwa Arsanios aus dem Libanon.
Die Schwerpunkte Nachhaltigkeit, Ökologie und Kommunikation begrüßt auch Jörg Sperling vom documenta-Forum. Es werde emsig an der documenta und ihrer Umsetzung unter Pandemiebedingungen gearbeitet, sagte der Vorsitzende des Vereins, der die Ausstellungen kritisch begleitet. „Unter den gegebenen Umständen ist es eine geschickte Lösung, die Ausstellung dezentral über die Stadt verteilt zu planen.“ Er sei zuversichtlich, dass die Schau gut funktionieren werde.
Gespannt ist Sperling auf die künstlerische Umsetzung: „Wir fragen uns noch, welche Kunst wir sehen werden.“ Die Künstler der 15. Ausgabe seien schließlich weitgehend unbekannt. „So richtig einschätzen können wir das noch nicht.“ Aber eigentlich sei das bei jeder documenta so. „Insofern bin ich auch in dieser Hinsicht zuversichtlich.“
Im Stadtbild ist die documenta fifteen bereits sichtbar. Mitten in Kassels Innenstadt leuchtet das Ruruhaus, Spielort der documenta und eine Art „Wohnzimmer“ in Orange, Grün, Violett und Gelb. Die örtliche Hütt-Brauerei hat sich als Kooperationspartner einen Anstrich in den bunten documenta-Farben zugelegt. Darüber hinaus hat sie gemeinsam mit Ruangrupa-Mitgliedern ein eigenes documenta-Bier kreiert.
Der Ticketverkauf, der Ende September 2021 gestartet ist, ist laut Schormann gut angelaufen. Wie viele Gäste tatsächlich kommen werden, sei in Pandemiezeiten aber nur schwer abzusehen. Superlative seien aber ohnehin nicht das Ziel. „Vielmehr steht im Vordergrund, möglichst vielen Menschen im Rahmen ihres Besuchs das gemeinsame Erleben zeitgenössischer Kunst und persönliche Begegnungen zugänglich zu machen – und das so sicher, ökologisch verträglich und inklusiv wie möglich.“