New York City ist so etwas wie das Zentrum der amerikanischen Publishing Industry – und damit der Buchbranche weltweit.
Jahrelang hielt ein Unbekannter die amerikanische Verlagswelt in Atem, der mit geklauten Identitäten unveröffentlichte Manuskripte erschlich. Jetzt ist der Mann gefasst, aber seine Motive bleiben rätselhaft.
Filippo Bernardini ist ein unglücklicherer Bücherdieb, denn er wurde jetzt vom FBI bei der Einreise in die Vereinigten Staaten verhaftet. Der neunundzwanzigjährige Landsmann von Libri heuerte vor fünf Jahren bei der Londoner Niederlassung des amerikanischen Großverlags Simon & Schuster an und kümmerte sich dort um den Rechtevertrieb von Autoren des Hauses.
Er stahl Bücher nicht physisch, sondern – ganz modern – als Dateien. Und zwar solche von Büchern, die im Regelfall noch gar nicht erschienen waren, von denen Bernardini aber durch seine Tätigkeit erfahren hatte. Da er aus dieser beruflichen Praxis auch die Namen von Kollegen auf der ganzen Welt kannte, schrieb er sie von fingierten Mail-Accounts aus an, deren Bezeichnungen leicht mit denen tatsächlich existierender Verlage oder Agenturen zu verwechseln waren, und bat um Zusendung der Dateien zwecks einer Prüfung auf Publikation in einem anderen Land.
Insgesamt soll er, wie die „New York Times“ berichtete, mehr als 160 Websites unter irreführenden Namen eingerichtet haben, um sein Ansinnen glaubhafter zu machen. Unter den von ihm auf diese Weise erbeuteten Texten befanden sich laut „New York Times“ frisch eingereichte oder zum Druck bereits fertig vorbereitete Manuskripte der Friedenspreisträgerin Margaret Atwood oder des Schauspielers Ethan Hawke, der seit einigen Jahren auch Belletristik schreibt.
Die Rede ist zurzeit noch vorsichtig von „Hunderten“ derart erschwindelter Dateien. Aber Bernardini ging bei seinen Betrügereien nicht nach Berühmtheit der jeweiligen Autoren, sondern besorgte sich auch Dateien literarischer Debüts. Weil es bei seinen Machenschaften dementsprechend kein auffälliges Prominenzschema gab, blieb er lange unbehelligt.
Ruchbar wurden sie nur deshalb, weil betrogene Verlagsmitarbeiter sich immer wieder wunderten, dass sie nie mehr etwas vom Adressaten ihrer Zusendungen hörten. Nachforschungen zu deren Verbleib bei den angeblichen Empfängern liefen aber dann ins Leere.
Bizarrerweise hat Bernardini jedoch keine einzige der so in seinen Besitz gelangten Dateien zu Geld gemacht – kein Weiterverkauf, keine Erpressung. Wir haben es also vermutlich mit einem großen Literaturliebenden zu tun, nicht mit einem geldgierigen Bücherdieb.
Auch dafür gibt es in der Geschichte bibliophiler Kleptomanie einen bekannten Vorläufer: Aloys Pichler, einen bayerischen Theologen, der 1868 Bibliothekar am Zarenhof in Sankt Petersburg wurde und bald damit begann, zum privaten Lesevergnügen die ihm anvertraute Bibliothek zu plündern. Diese Leidenschaft brachte ihm nach deren Entdeckung sibirische Gefangenschaft ein.
Ähnlich bibliomanisch muss man sich wohl auch Bernardinis Motivation vorstellen; auf seinem Linkedin-Profil gibt er als seine große Faszination „das geschriebene Wort und Sprachen“ an.
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